Organisationen im Umbruch: Alte und neue Rollen im (Content-) Marketing

Ich hatte dieses Chart bereits vor einiger Zeit auf Facebook und Google+ gepostet und musste mir dort einige Kritik abholen. Der Vorwurf: Das sei viel zu komplex (und kompliziert), das könne gar kein Unternehmen abbilden, und das sei auch gar nicht nötig. Eigentlich reiche doch ein Chefredakteur und ein gut ausgebildeter Redakteur. Okay, hieß es, wenn viel Dialog kommt, vielleicht auch noch ein Community Manager, aber das könne normalerweise auch der Redakteur mit erledigen. Und ich habe trotzdem das Rollenmodell verteidigt… 

Jetzt bekomme ich Schützenhilfe von Joe Pulizzi, der in den USA als der „Content-Marketing-Guru“ gilt. Er hat gestern ein Blogpost veröffentlicht mit den „10 Content Marketing Rollen für Erfolg in den nächsten 10 Jahren„. Grund für mich, das Thema noch einmal aufzugreifen. Denn ich halte das Thema für ein zentrales: An ihm hängt die Frage, ob die tollen Content Marketing Ideen auch umgesetzt werden können. Wenn nicht, sind nämlich die besten Ideen nichts wert. Und ich denke: Unternehmen (große wie kleine) müssen ihre Marketingabteilungen umbauen. Nur dann werden sie den künftigen Herausforderungen gerecht. Hier nun ein Modell dafür:

Mal grundsätzlich: Der Unterschied von Rollen und Stellen

Das wichtigste, was man dabei verstehen muss: Das ist ein Rollenmodell. Die „Rollen“ korrespondieren mit bestimmten Funktionen und Kompetenzen – nicht notwendigerweise mit Personen und schon gar nicht mit „Stellen“. Theoretisch könnte diese Rollen auch eine Person mit einer Halbtagsstelle ausfüllen. Theoretisch. Wenn es jemanden gäbe, der all die Funktionen vereint. Aber wichtig ist: Die Rollen müssen von Menschen besetzt werden, die das beherrschen. Die Zeiten, in denen der Redakteur „auch ein wenig Photoshop kann“ und deswegen die Grafiken selbst gestaltet, sind vorbei. Die Rollen zeigen, welche Kompetenzen wichtig sind, um gutes Content Marketing zu betreiben. Wie gesagt: Nicht „irgendwie“ gemacht, sondern kompetent. Das Rollenmodell ermöglicht aber, dass zum Beispiel zwei Stellen (in Konzernen heißt das „FTE“, also „Full Time Equivalent“) mit 6 Personen besetzt werden. Hier „teilen“ sich dann verschiedene Abteilungen eine Person – z.B. beim Mediendesigner, der vielleicht im klassischen Marketing arbeitet, aber im Content Marketing aushilft. Oder man besetzt diese Rolle mit einem Freelancer, der dann zum Beispiel nur 6 Stunden in der Woche beschäftigt wird.

Der Content Stratege / die Content Strategin

Der Kopf des ganzen ist der „Content Stratege“. Joe Pulizzi nennt ihn „Chief Content Officer“. Klingt cool. Ist aber das gleiche. Manche nennen ihn auch „Chief Storyteller“ oder „Corporate Story Architect“.

Also eine große Auswahl an Titeln gibt es. Aber warum nennt man ihn nicht einfach und schön deutsch „Chefredakteur“? Einfach deswegen, weil ein „Content Stratege“ etwas anderes macht als ein „Chefredakteur“. Der Chefredakteur ist nämlich üblicherweise der „Chef der Redakteure“ (banal, oder?) und hat als solcher auch eine Weisungsbefugnis gegenüber den Redakteuren. Das hat der Content Stratege nicht. Der Content Stratege entwickelt die Content Strategie und sorgt dafür, dass sie im Unternehmen umgesetzt wird. Das bedeutet vor allem, dass er die Prozesse versteht, wie (und wo überall) Content im Unternehmen entsteht, vor allem aber auch, wie Content „wertschöpfend“ wirkt. Aber er macht das mit ganz anderen Mitteln als der Chefredakteur. Denn in Unternehmen produzieren viele verschiedene Einheiten den Content. Der Content Stratege kann hier Empfehlungen erarbeiten, er kann die Leute trainieren, und ihnen Tipps geben, und er kann auch Ideen zusammenbringen. Aber er hat niemals eine Weisungsbefugnis gegenüber anderen Abteilungen. Richtig ist allerdings auch: In kleinen Unternehmen, wo nur eine Abteilung (mit zwei Leuten) Content entwickelt, da gibt es keinen Unterschied zwischen „Chefredakteur“ und Content Stratege.

Der Chef vom Dienst / die Chefin vom Dienst (CvD)

Der zweite Mann (oder die „erste Offizierin“) ist der Chef vom Dienst. Pulizzi nennt ihn „Managing Editor“. Er ist die Schnittstelle zwischen „Strategie“ und „Operations“. Er setzt die Strategie um und ist gleichzeitig Projektmanager.

Er ist der Herr über Excel, Google Docs – oder idealerweise eine „Content Marketing Suite“, über die er den gesamten Content steuert. Er leitet die Redaktionssitzungen, pflegt den Themenplan und hält den Redaktionskalender up2date. Während sich der Content Stratege auf die strategischen Elemente konzentriert (überraschend, oder?), kümmert er sich nur um die Umsetzung. Und er sorgt auch dafür, dass der Content strategisch geplant wird und dann auch entsprechend der Strategie umgesetzt wird: Hinsichtlich Tonalität, dem Style Guide, Protagonisten, Medienauswahl, Formatauswahl – ganz danach, was Teil der Strategie ist. Und es macht Sinn, diese beiden Rollen zu trennen. Denn während der Content Stratege das große Ganze im Blick haben muss, kreativ und visionär denken muss, ist die Aufgabe des CvD eher der eines Buchhalters: Sein Gebiet sind die Details.

Die Community Managerin / der Community Manager

Die Community Managerin ist die Schnittstelle zwischen Community und Unternehmen. Sie vertritt die Interessen des Unternehmens nach außen der Community und dem Publikum gegenüber und die Interessen der Community und des Publikums nach innen.

Zudem setzt sie im Dialog die Regeln der Community durch. Insofern hat sie ein „Triplemandat“ ähnlich wie ein Sozialarbeiter. Sie arbeitet auch mit dem Customer Care zusammen, meistens ein Call Center, sofern das Unternehmen gewählt hat, den Customer Support auch über Social Media laufen zu lassen. Als solche stellt sie dem Support auch Content zur Verfügung.  Auch hier empfiehlt sich nicht nur eine andere Rolle als der Content Stratege, dem Chef vom Dienst (oder dem Redakteuer), denn sie muss sich ganz dem Kunden widmen können, ohne von sonstigen operativen Aufgaben abgelenkt zu sein. Zudem braucht sie besondere empathische Fähigkeiten, die bei den anderen Rollen nicht so ausgeprägt sein müssen. Bei Pulizzi heißt er „Chief Listening Officer“, er siedelt diese Rolle etwas höher an und verleiht ihr damit auch mehr strategische Macht. Die Funktion, die „Outside-in-Perspektive“ zu sichern ist aber die gleiche.

Der Redakteur

Der Redakteur ist wohl das „gewöhnlichste“ Mitglied im Team. Er muss schreiben und Themen entwickeln können. Eine journalistische Ausbildung hilft dabei sehr. Dabei setzt er aber vor allem die strategische Leitlinie des Content Strategen um.

Und ein guter Redakteur ist sicherlich auch für die nächste Zeit fit für die Herausforderungen des Content Marketings der nächsten Jahre. Denn ein gut ausgebildeter Redakteur beherrscht die verschiedenen journalistischen Formate wie Interview, Reportage, Glosse, Kommentar und vieles mehr. Und er kann auch für Online Medien schreiben und kennt sich mit SEO aus. DIese Rolle kann relativ leicht skaliert werden: Am Markt gibt es sehr viel gute Freelancer, mit denen man bei Bedarf sein Team auffüllen kann.

Der Mediendesigner

Der Mediendesigner kümmert sich um die visuelle Sprache. Sie spielt eine immer größere Rolle. Und sie braucht einfach einen Spezialisten.

Wie oben schon gesagt: Die Zeiten sind vorbei, wo man mal schnell in PowerPoint eine Grafik basteln konnte. Der Wettbewerb ist zu groß, um damit noch punkten zu können. Auch reichen einfach nur schnell herausgesuchte Bilder aus einem Fotoarchiv nicht aus. Die Bilder brauchen eine einheitliche Sprache. Diese Funktion lässt sich übrigens am einfachsten mit einem Freelancer ausfüllen. Denn in den meisten Fällen ist das keine volle Stelle. Trotzdem ist es gerade hier empfehlenswert, einen Profi mit im Team zu haben.

Der Kanalmanager

Der Kanalmanager (Pulizzi nennt ihn „Channel Master“) kennt sich mit allen Kanälen aus. Er weiß, was wo gut funktioniert.

Und er weiß, was die Besonderheiten jeden Kanals sind – sowohl technisch wie auch taktisch. Und er übernimmt im Zweifelsfall auch das Einstellen des Content in die entsprechenden Kanäle. Damit entlastet er auch den Redakteuer, der diese Rolle sicherlich vielfach auch selbst übernehmen könnte. Allerdings hat der Redakteur andere, wichtige Aufgaben. Insofern macht auch hier eine Unterscheidung Sinn.

Weitere Rollen

Diese sechs Rollen sehe ich persönlich als den Kern eines Content Marketing Teams. Pulizzi nennt in seinem Beitrag noch weitere Rollen, die meiner Auffassung nach ergänzend eingesetzt werden können, vor allem bei größeren Unternehmen:

  • Der „Influencer Relations Officer“ kümmert sich ausschließlich um die Influencer. Diese Rolle sehe ich noch am ehesten als Ergänzung zu den oben genannten sieben Rollen. Wenn ein Unternehmen allerdings keinen besonderen Folus auf dieses Thema legt, sollte diese Rolle vom Community Manager und dem Content Strategen mit ausgeführt werden können.
  • Der „Director of Audience“ ist bei Pulizzi zuständig für das Monitoring sowie für die technischen Systeme, welche die Zielgruppen versorgen, wie z.B. Marketing Automation Software oder E-Mailing-Systeme. Vor allem diese Rolle dürfte eher großen Unternehmen vorbehalten sein, wo es Spezial-Software für diese Bereiche gibt.
  • Pulizzi sieht auch noch einen Bedarf für ein „HR for Marketing“, quasi als „Coach“ für die Mitarbeiter im Social und Content Marketing.
  • Der „Chief Technologist“ kümmert sich (Überraschung!) um die Technik.  Ich persönlich sehe diese Rolle auch eher in Konzernen.
  • Und auch der von Pulizzi genannte Zuständige für „Freelancer and Agency Relations“ sollte wohl vor allem in Konzernen zum Einsatz kommen, wenn sie über besonders viele Freelancer und Agenturen verfügen
  • Und last bit not least nennt Pulizzi noch den „ROO“, den „Return on Objectice Officer“. Ein tolller Titel, oder? Ich würde allerdings meinen, dass der neben dem Content Strategen nicht wirklich Platz hat. Denn den „Return on Objectives“ zu sichern ist genau dessen Aufgabe.

Der Autor

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Mirko Lange

Gründer Scompler

Mirko Lange ist seit 27 Jahren Kommunikations-Berater und seit 2001 Dozent an mehreren Hochschulen. Er hatte ab 1999 eine der ersten Beratungsunternehmen für Online-PR in Deutschland und hatte sich ab dem Jahr 2008 einen Namen als erster Spezialist für Unternehmenskommunikation im Social Web gemacht. Hier hat er in den Jahren 2010 ff. unter anderem die Deutsche Bahn („Facebook-Ticket“) und Nestlé („Kitkat“) in der Krisenkommunikation beraten, über welche die ersten „Shitstorms“ in Deutschland hinwegzogen. In der Folge hat zum Beispiel die Deutsche Bahn ihre komplette Kommunikation auf das Social Web ausgerichtet, diesen Prozess hat Lange begleitet. Aus diesem Projekt entstand die Kommunikationsmanagement-Software Scompler. Scompler hat inzwischen mehr als 300 Kunden, unter ihnen 6 DAX-Unternehmen.